Viele Menschen nutzen den Wald für ihre Zwecke, wie beispielsweise dieser Jogger.Foto: pixabay.com

Zeitschriften | Verband & PolitikLesezeit 2 min.

«Der Wald macht Menschen glücklicher und zufriedener»

Dichtestress im Forst: Immer wieder werden Forstleute bei ihrer Arbeit von Waldbesucherinnen und -besuchern beschimpft und angegangen – in der Regel aus Unwissenheit. Förster Christian Becker gefällt es im Wald trotzdem noch immer, denn «die meisten sind anständig».

Ralph Möll | «Schweizer Wald unter Anpassungsdruck» – so betitelte das Bundesamt für Umwelt (BAFU) Mitte März seine Medienmitteilung zum Waldbericht 2025. Besagtes Werk erscheint alle zehn Jahre und fasst den aktuellen Zustand des Schweizer Waldes zusammen. Zwar bezieht sich das BAFU dabei hauptsächlich auf einen Anpassungsdruck, der in den fortschreitenden Klimaveränderungen begründet ist. Druck auf den Schweizer Wald übt aber in zunehmendem Masse auch die Gesellschaft aus, sprich alle, die den Wald in irgendeiner Form nutzen.

Und die Bandbreite derer, die den Wald nutzen, ist gross: Von der Joggerin über den Baumumarmer, die Bikerin, den Hundehalter, die Reiterin, den Spaziergänger, die Pilzsammlerin bis zum Waldbadenden sind alle dabei. Entsprechend gross ist auch die Bandbreite der Forderungen und Ansprüche, welche die jeweiligen Gruppen an den Wald stellen und bisweilen mit Vehemenz untermauern. Und warum auch nicht? Schliesslich bestimmen ja sowohl das Waldgesetz als auch das Zivilgesetzbuch – mit einigen Einschränkungen – ein freies Betretungsrecht im Wald.

Dabei geht aber oft vergessen, dass dieser frei betretbare Wald nicht einfach herrenloses Territorium ist, sondern jemandem gehört; rund 250 000 Eigentümerinnen und Eigentümern, um genau zu sein. Die meisten davon sind private Waldbesitzerinnen und -besitzer. Ihnen gehört etwa ein Drittel des Schweizer Waldes. Die anderen zwei Drittel befinden sich im Besitz der öffentlichen Hand, also von Bürger- und Einwohnergemeinden, Korporationen, Kantonen oder dem Bund; rund 3500 an der Zahl.

Als während der Covid-19-Pandemie Feriendestinationen in fernen Landen von einem Tag auf den anderen unerreichbar wurden, entdeckten viele Menschen, dass die so dringend benötigte Erholung auch direkt vor der Haustür, ohne tagelange Anreise und erst noch zum Nulltarif möglich ist: im Wald. Doch das vermeintliche Idyll wurde immer wieder vom Knattern der Motorsägen, vom Rumpeln fallender Stämme oder von der schieren Leere eines einst gewesenen Baumes, von dem nur noch der Stumpf und ein Haufen Sägemehl zeugten, gestört. Volkes Seele begann zu kochen, und Volkes Wut entlud sich (und entlädt sich noch immer) an jenen, die das Pech haben, zu diesem Zeitpunkt anwesend zu sein: den Arbeiterinnen und Arbeitern im Forst.

60 Fussballfelder für jeden Mitarbeiter

Auch Christian Becker ist bei seiner Arbeit schon beschimpft worden. Der Förster ist mit seinem 13-köpfigen Team verantwortlich für das Forstrevier Angenstein, das die Waldungen der sechs Basel-Landschaftlichen Bürgergemeinden Aesch, Duggingen, Grellingen, Pfeffingen, Reinach, Therwil sowie der Immobilien Basel-Stadt umfasst. Die Fläche, welche der Forstbetrieb bewirtschaftet, beträgt rund 1200 Hektar –
oder 840 Einheiten der gängigeren Flächenmass­angabe «Fussballfeld». Nach Milchbüchleinrechnung ergibt das eine Fläche von genau 60 Fussballfeldern, die jeder Mitarbeiter des Forstreviers Angenstein pflegen muss.

Obwohl Waldpflege und -entwicklung grundsätzlich auf der gesamten Waldfläche geschehen, müssen Forstleute vor allem stark frequentierten Stellen besonders viel Aufmerksamkeit zukommen lassen. Stört es mitten im Wald, einen halben Kilometer vom nächsten Weg oder von der nächsten Hütte entfernt, nämlich niemanden, wenn Forstleute Bäume schlagen, um mehr Licht in den Wald zu lassen und die Verjüngung zu begünstigen, sieht es entlang von leicht zugänglichen Bereichen wie eben Wegen, Infrastrukturen oder Waldrändern anders aus. «Hier fallen die meisten Arbeiten an, weil die Sicherheit gewährleistet sein muss. Und hier sehen die Waldbesucherinnen und -besucher, dass etwas geht und dass geholzt wird. Und hier entladen sich denn auch ihr Frust und ihr Unverständnis über unsere Arbeit», erklärt Christian Becker.

Der Förster sieht in solchen Erlebnissen aber weniger ein spezifisches Waldproblem, sondern hält sie eher für einen Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung hin zu einer egoistischeren Gesellschaft: «Auch auf Gemeindeverwaltungen oder in Spitälern werden Leute ausfällig, weil der gegenseitige Respekt abnimmt.» Hatte es ihn früher noch wütend gemacht, wenn ihn Waldbesucherinnen und -besucher anblafften, geht er mittlerweile abgeklärter damit um: «Ich mache mir jeweils bewusst, dass es sich nicht um einen persönlichen Angriff handelt, sondern dass ich in einem solchen Moment halt einfach derjenige bin, der gerade da ist, um angepflaumt zu werden.» Christian Becker versucht in diesen Momenten, das Gespräch mit dem Gegenüber zu suchen, sich dessen Argumente anzuhören und auch seine eigenen darzulegen. «Wichtig ist, respektvoll zu bleiben.»

Obwohl der Betriebsleiter zwar zähneknirschend akzeptiert, dass er in gewissen Situationen als Klagemauer oder Blitzableiter herhalten muss, heisst das noch lange nicht, dass er das auch für fair hält: «Wir Forstleute führen einen Auftrag für einen Waldeigentümer oder eine Waldeigentümerin aus. Viele, die den Wald nutzen, sind sich dessen aber gar nicht bewusst, weil sie nicht wissen, wie der Wald funktioniert.» Die Differenzierung zwischen Eigentümerinnen und Eigentümern, welche eine Strategie festlegen, was in ihrem Wald wo passieren soll und wie viel das kosten darf, und den ausführenden Forstleuten ist in weiten Teilen der Schweizer Bevölkerung wohl tatsächlich nicht sehr bekannt. Vielmehr herrscht wie bereits erwähnt die Meinung vor, der Wald gehöre allen, und ergo hätten auch alle ein Recht darauf, über den Wald mitzubestimmen – und sich zu unliebsamen Eingriffen durch Forstleute zu äussern.

Mehr Unterstützung wäre wünschenswert

Dabei fühlt sich Christian Becker bisweilen auch ein wenig allein gelassen von den Waldeigentümerinnen und -eigentümern: «Unsere Forstwirtschaft sollte sich stärker für ihre Werte und Anliegen einsetzen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass die Eigentümerinnen und Eigentümer mehr ins Marketing für den Wald investieren. Sie sollten klar und deutlich informieren, welches Verhalten im Wald angebracht und welches nicht akzeptabel ist.» Allerdings, schränkt er sogleich ein, sei ihm auch klar, dass die dafür benötigten Mittel nicht mit der Holzwirtschaft aufgebracht werden können. «Hätte ich die Zeit und die Mittel, würden wir zu einem Influencer-Betrieb, denn es gäbe so viele interessante und spannende Geschichten aus dem Wald zu erzählen. Das würde sich auch finanziell auszahlen.»

Vorderhand muss sich Christian Becker jedoch damit begnügen, Informationstafeln zu verschiedensten Waldthemen aufzustellen. Mit diesen informiert er Waldbesucherinnen und -besucher über verschiedenste Themen, beispielsweise über die Eiche, die Reptilien oder die Gründe für einen aktuellen Holzschlag. Mit Erfolg: «Wir kriegen viel Feedback zu diesen Tafeln. Sie werden also gelesen.» Ausserdem werde via Bürgerzeitung regelmässig über Aktualitäten im Wald kommuniziert.

Wer den Wald kennenlernt, schätzt ihn

Als Massnahme mit nachhaltiger Wirkung betrachtet Christian Becker auch sogenannte Frontage: «In Reinach sind gut 100 Menschen gekommen, um den Wald zu putzen, und das für ein Znüni, ein Zmittag und Getränke.» Monetär sei das kurzfristig zwar ein Verlustgeschäft: «Aber auf lange Sicht zahlt es sich aus, denn diese Menschen erkennen, wie viel Arbeit der Wald macht und was er wert ist. Und an der nächsten Gemeindeversammlung heben sie bei Waldtraktanden garantiert die Hand.» Die Wirkung solcher Aktionen ist zwar nicht mess-, aber deutlich spürbar, werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer doch zu Fürsprecherinnen und Fürsprechern des Waldes. «Leider führen nicht alle unsere Gemeinden solche Frontage durch.»

Neben fehlendem Wissen auf der einen sowie ausbaufähigen Kommunikationsanstrengungen auf der anderen Seite führt der Förster einen weiteren Grund an, warum es im Wald vermehrt zu Auseinandersetzungen kommt: «Wir haben seit der Covid-19-Pandemie viel mehr Menschen im Wald als davor. Das ist einerseits positiv, weil jetzt viel mehr Menschen den Wald kennen- und ihn schätzen lernen. Andererseits sind unsere Rastplätze und Ruhebänke nicht auf 8000 Personen ausgelegt, sondern auf 500. Was während der vorangegangenen 50 Jahre problemlos gereicht hatte, wird den heutigen Bedürfnissen nicht mehr gerecht. Und wo viele Menschen auf begrenztem Raum zusammentreffen, entsteht Reibung.»

Die meisten sind anständig

All dieser Unbill zum Trotz verliert Christian Becker seinen Optimismus nicht. Der Wald ist für ihn mehr als die Summe seiner Bäume: «Grundsätzlich macht der Wald Menschen glücklicher und zufriedener. Habe ich mal einen schlechten Tag, gehe ich in den Wald hinaus, um durchzuatmen, um Energie zu tanken, um den Kopf durchzulüften.» Und in den allermeisten Fällen seien die Menschen, die den Wald besuchten, ja anständig. Sie freuten sich über den Wald, und das Produkt Wald stimme für sie, weil es ihnen das liefere, was sie erwarteten. «Was sie jedoch nicht erkennen können, ist das grosse Ganze. Dafür fehlt ihnen die Flughöhe von Forstfachleuten, und daraus können Missverständnisse entstehen. Wir helfen aber gerne, diese auszuräumen.»

Dies sind nur einige der wie immer vielen spannenden Geschichten in der neuen Ausgabe von WALD und HOLZ. Das Heft ist ab sofort erhältlich. Wald und Holz jetzt abonnieren

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