Oberhalb von Maienfeld (GR) befindet sich der Eichen-Wyt-Wald, Relikt einer ursprünglichen Betriebsform. Foto: Patrick Bonfils

Verband & Politik | ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Natur und Kultur als Fundamente nachhaltiger Entwicklung

Die Geschichte bildet das Fundament für Kultur und Identität. Am Beispiel der Baumart Eiche wird deutlich, wie sich diese Begriffe auch heute in immateriellen Werten und konkreten Produkten spiegeln und die Grundlage für nachhaltige Entwicklung bilden.

Patrick Bonfils* | Die Überbauung Grafenau in der Stadt Zug (ZG) wurde um eine alte Eiche herumgebaut; dank dem Verständnis und der Begeisterung von Bauherren und Architekten. Die alten Stieleichen im Rhonetal in Noville (VD) sollen als Samenbäume dafür sorgen, dass diese ursprüngliche Provenienz erhalten bleibt; dank der Initiative und Weitsicht des lokalen Forstdienstes und der Baumschulen. Der «Chêne Napoléon» vor der Uni Lausanne in Dorigny (VD) ist nicht nur ein historisches Monument, sondern auch ein Forschungsobjekt; dank der Neugierde und Faszination von Biologen und Genetikern. Die ehemalige Eichen-Wyt-Weide oberhalb von Maienfeld (GR) ist eines der wenigen Beispiele dieser ursprünglichen Betriebsform in der Schweiz und gleichzeitig «Tourismus-Destination» und Naherholungsraum; dank der Offenheit und Entschlossenheit von Eigentümern und Bewirtschaftern. Beispiele dieser Art könnten noch viele genannt werden, denn die Eiche fasziniert und verbindet eine breite «Fangemeinde», die in dieser Baumart etwas Besonderes sieht. Wie aber kommt es, dass sich gerade die Eiche dieser besonderen Wertschätzung erfreut?

Das Natur- und Kulturerbe der Eiche

Das Natur- und Kulturerbe der Eiche ist in einem bestimmten historischen Kontext entstanden und gründet auf Werten und Produkten, die vom Menschen damals besonders geschätzt wurden. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert waren dies in erster Linie die Eicheln, die als Nahrungsmittel für Schweine, Schafe und Ziegen, aber auch für den Menschen genutzt wurden. Aus dem Holz der Eiche wurden Schiffe, Wasserräder, Brücken, Dachstühle, Fässer und Eisenbahnschwellen angefertigt. Die Gerbstoffe aus der Eichenrinde wurden lange Zeit für die Lederherstellung, aber auch für medizinische Anwendungen verwendet. Neben diesen Produkten hatte die Eiche zudem schon immer als Baum von imposanter Gestalt eine besondere Bedeutung. Mächtig und heilig war sie den alten Kelten, und unter grossen Eichen wurde bisweilen Recht gesprochen. Zahlreiche Flurnamen zeugen bis heute von der grossen Bedeutung dieser Baumart in der Vergangenheit. «Hard» zum Beispiel bezeichnet den offenen Eichen-Weidewald und liegt zudem verborgen in «Eichert» (Eich-Hard) oder «Kirchert» (Kirch-Hard). Auch «Eyfeld» oder «Eybach» weisen auf einen Eichenwald hin und dann natürlich all die Flurnamen mit Eich- wie «Eichgubel» oder «Eichwies». 

Alte Eichen als kollektives Gedächtnis

Ein Natur- und Kulturerbe an nachfolgende Generationen weiterzugeben, setzt voraus, dass dieses noch physisch vorhanden ist. Dies ist in Bezug auf die Eiche nicht selbstverständlich. Im 18. Jahrhundert war diese als Bauholz, aber auch als Brennholz äusserst begehrt. Der Bau der Eisenbahnen im
19. Jahrhundert verschlang enorme Mengen an Schwellenholz aus Eiche. In gewissen Gemeinden des Zürcher Unterlandes wurden zu diesem Zweck ganze Bestände kahlgeschlagen. So schrumpfte etwa in Bülach der Flächenanteil der Eiche in nur 100 Jahren (1797 bis 1898) von 76% auf 3%. In diese Zeit fällt vielerorts die Umwandlung von eichenreichen Nieder- und Mittelwäldern in Nadelholzbestände aus Fichte und Föhre. Grosse, alte Eichen – Zeitzeugen einer einst blühenden Eichenwaldwirtschaft – sind so im Laufe der Jahrhunderte vielerorts aus Wald und Landschaft verschwunden. Trotz diesem Raubbau blieb da und dort ein besonders eindrückliches Individuum erhalten. Sei dies aufgrund von Privatinitiativen oder im Rahmen der Ausscheidung von sogenannten «Naturdenkmälern», wie sie im Zivilgesetzbuch vorgesehen sind. 

Die Präsenz alter Bäume in der Landschaft ist Ausdruck von Respekt gegenüber einer jahrhunderte- oder gar jahrtausendealten, gemeinsamen Geschichte von Mensch und Natur. Gerade von frei stehenden und breitkronigen Charaktereichen geht eine ganz besondere Wirkung aus. Diese kraftvollen Bäume haben die Fähigkeit, Geschichte mit der Gegenwart zu verbinden, und stellen das Gedächtnis dar, dass es dem Menschen erlaubt, sich in seinen eigenen – gesellschaftlichen oder persönlichen – Kontext zu stellen.

Erfahrungen formen die Identität

Die Identität eines Individuums oder einer Gruppe von Personen drückt sich im Verhalten aus, in einer Handlung, die eine bestimmte Einstellung konkret zum Ausdruck bringt. Sie wird durch persönliche oder soziale Erfahrungen (Geschichte) und Wissen (Bildung) geformt sowie durch Werte und Überzeugungen geprägt. 

Wie der Mensch hat auch die Eiche ihre Charaktereigenschaften: Licht- und Wärmebedarf, geringe Konkurrenzfähigkeit, eher langsames, aber lang anhaltendes Wachstum, lange Lebensdauer. Ein Förster, der mit der Eiche arbeitet, muss sich auf diese Eigenschaften einstellen und die dafür notwendigen Fähigkeiten entwickeln. Beobachtungsgabe, Geduld, Beharrlichkeit und Optimismus sind nebst dem notwendigen Fachwissen einige der Voraussetzungen. 

Die Arbeit mit dieser Baumart formt den Charakter und die Identität der betroffenen Person. Und dies gilt nicht nur für den Förster, sondern auch für den Zimmermann, den Tischler, den Architekten, den Küfer, den Önologen und für viele andere Berufsleute, die sich mit der Eiche und ihren Eigenschaften auseinandersetzen. 

Eichenprodukte gestalten die Zukunft 

Erfahrungen immaterieller Art sind interessanterweise meist an materielle Güter gebunden. An Produkte, die aktuelle Bedürfnisse der Gesellschaft aufnehmen und den Weg in die Zukunft weisen. 

In Bezug auf die waldbaulichen Zielsetzungen sind neben der Holzproduktion vor allem der hohe Biodiversitätswert und die Trockentoleranz der Eiche im Klimawandel von Interesse. Sie soll dank ihrer ökologischen Eigenschaften zur Resilienz beziehungsweise Stabilität von Waldökosystemen beitragen. Es ist Aufgabe des Forstdienstes, die Eiche in das Gefüge der bestehenden Waldstrukturen zu integrieren und die bestgeeignete Waldbaustrategie zu wählen. Dabei stützt er sich auf die Erfahrung und das Wissen einer Eichenkultur, die sich dank dem Know-how vieler Förstergenerationen etabliert hat. 

In Frankreich wurde 2022 der Eichen-Hochwald gewürdigt, indem diese Betriebsform in das Inventar der immateriellen Kulturgüter aufgenommen wurde.  

Keine andere heimische Baumart beherbergt eine so grosse Zahl von Organismen wie die Eiche. 300 bis 500 Tierarten kommen ausschliesslich auf der Stieleiche (Quercus robur) und Traubeneiche (Quercus petraea) vor oder sind stark von diesen Arten abhängig. 

In der gleichen Grössenordnung bewegt sich die Anzahl Tierarten, welche die Eiche fakultativ nutzen. Eichenreiche Wälder zählen in Mitteleuropa neben den Auenwäldern zu den an Vogelarten reichsten Lebensräumen. Rund 40 verschiedene Arten, darunter der Mittelspecht, leben in Wäldern, die von alten Eichen dominiert werden. Die Eiche wird damit zu einem wichtigen Element zur Stabilisierung der Wälder und ihrer Ökosystemleistungen. 

Die Holzeigenschaften der Eiche zeichnen sich durch sehr gute mechanische Eigenschaften und Dauerhaftigkeit aus. Entsprechend vielseitig kann Eichenholz eingesetzt werden, und es findet in allen Bereichen des Bauens und Wohnens Anwendung. Bei stark beanspruchten Konstruktionen im Innen- und Aussenbau ist Eiche beliebt: so etwa im Brücken- und Wasserbau, für Eisenbahnschwellen sowie für Parkett, Fenster und Türen. Feinjährige Eichen werden vornehmlich in der Möbelindustrie verwendet. Eine Vielzahl von Berufsleuten wie Säger, Schreiner, Drechsler, Küfer und Zimmerleute pflegen ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen und tragen somit zur Eichenkultur bei.

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